11. Gebot: Du sollst tanzen

Ich bin zwischen 8 und 9 Jahre alt, wir sind bei meiner besten Freundin im Kinderzimmer. Aus dem CD Player ertönen Vivaldi’s vier Jahreszeiten. Wir sind zu dritt. Ich gebe Kommandos wer zu welchem Einsatz welche Bewegung zu tun hat. Meine Freundinnen wenig begeistert beugen sich dem Wille der Frau Lehrerin. Kerstin verpatzt den Einsatz. Da wird die Lehrerin aber stinkig (hat sie so von ihrem Ballettlehrer gelernt – beim kleinsten Patzer, rumbrüllen – auch dieses Lehrmuster musste dringend überholt werden!), ich haue auf den CD Player und denke ‚Ach so wird das nix, wieso können die das nicht? Wieso macht denen Tanzen keinen Spaß?‘

Wieso macht es denen keinen Spaß? Ja wieso? Ich war da keine 2 Jahre alt. Ein Alter, indem es schwer ist, sich vorzustellen, dass andere Menschen andere Gefühle haben könnten und nicht alle die eigene Gefühlswelt teilen. Ich war 8 oder 9. Und es sollte noch einige Jahre dauern bis ich begreifen sollte, dass es tatsächlich Menschen gibt, die nicht gerne tanzen. Denen es nichts bedeutet. Nichts bedeutet? Wie kann einem Tanzen nichts bedeuten? Wie kann man überhaupt ohne Tanzen leben?

„Doro tanzt du noch?“ Wurde ich oft gefragt zum Beispiel von Freunden meiner Eltern. Was war das für eine Frage? „Doro atmest du noch? Doro isst du noch?“ Hätten sie genauso gut fragen können. Nicht tanzen? Unmöglich! Was machen die, die nicht tanzen? Wozu haben die denn ein so großes Zimmer? Eine Stereoanlage? Parkettboden?

Woran dein Herz hängt, das ist dein Gott, sagt Luther. Blasphemie schreit also meine 8-jährige Seele, wenn Kerstin den Einsatz verpatzt und nach und nach immer mehr Unlust sich breitmacht. Unlust? Hallo?!? Mein Gott ist der Tanz. Wir beten hier gerade zu Vivaldi’s Frühlingsmusik! Und zumindest ich bin in einem „Zustand des Ergriffensein von etwas, was mich unbedingt angeht“ (Danke an Tillich für diese wundervolle Definition – und danke an meine zweite Tanzhälfte aus Hamburg, dass du mich ihr bekanntgemacht hast!).

Ich tanze hier, ich kann nicht anders!

„Ach du tanzt? Kannst du auch Spagat?“ Blasphemie! Auf den Scheiterhaufen mit euch! Du hast es nicht begriffen. Du hast es nie erfahren! Ach, Mitleid sollte ich mit dir haben. Du armer Wurm. Für dich ist Tanzen nur Spagat, hohe Beinen, viele Drehungen. Du Armer! Hast du denn was anderes? Bitte habe etwas anderes! Etwas, was dich direkt angeht, was dich packt und bewegt. Wo du sein kannst. Was bist du denn ohne?

Ca. 30 Jahre später: Guess what? Ich bin Tanzpädagogin. Ich haue auf keine CD Player mehr (Gibt ja schließlich Bluetooth Boxen…). Ich brülle auch nicht mehr (Brüllen ist für die, die es nicht drauf haben). Aber ich kann es nicht lassen. Ich muss weiter predigen. Will ich euch bekehren? Ja, vielleicht ein bisschen. Aber nur die, deren Herz eh schon da hängt. Oder vielleicht ist es auf dem Weg und ich zeige ihnen die Abzweigung. Denn ich kenne einen Ort, einen Zustand, der so wundervoll ist, dass ich ihn mit jedem Menschen teilen möchte. Und wenn du bereit bist, dann möchte ich ihn dir gerne zeigen. Und vielleicht, ja vielleicht wird es auch dein zu Hause werden.

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